Mit Drecklach im Garten – Schwäbisches Tagblatt vom 7.9.15 von Uschi Kurz
Das „Schaffwerk“ in Pfullingen ist eine Fundgrube / Überall lauern Geschichten
Dieses alte Bauernhaus muss eine Menge Glück haben. Angesichts der vielen Hufeisen, die in ihm und seinem Garten stecken. Doch die aus den Glücksbringern geschmiedeten Kunstobjekte sind nicht die einzige Überraschung im „Schaffwerk“ am Ortsrand von Pfullingen.
Uschi Kurz
Pfullingen.„Entweder er hat geschafft oder gefeiert“, so beschreibt Sabine Kramer ihren Vater Peter, der in Pfullingen stadtbekannt war, weil er an den Wochenenden über 30 Jahre lang bei gutem Wanderwetter den Kiosk im Pfullinger Schönbergturm betrieb. Und wer den gelernten Schlosser nicht kannte, der kennt doch dieses sonderbare Haus in der Gönninger Straße mit seinem Zaun, der aus alten Hufeisen zusammengeschweißt ist und den großen fantasievollen Figuren im Garten. Beispielsweise der bauchigen Metallskulptur, die im Winter mit Wasser bespritzt, zum geheimnisvollen Eismann erstarrt.
Kramer hat das Bauernhaus, das unmittelbar an sein Wohnhaus angrenzt, 1993 gekauft, um es zu erhalten. Selbst darin gewohnt hat er nie und doch hat er es mit Leben gefüllt. Beim Rundgang mit Sabine Kramer durch das vollgestopfte alte Gemäuer zeigt sich rasch: Ihr Vater war nicht wählerisch in seiner Sammelleidenschaft. Er hatte für alles eine Verwendung – vom Fleischwolf bis zum Einkaufswagen. Aus den Gegenständen von denen andere meinten, dass sie zu nichts mehr zu gebrauchen seien, schuf er skurrile Objekte und eigensinnige Erfindungen. In der Stube, in der er einst gerne in unmittelbarer Nähe seines selbsternannten „Mittelpunktes der Erde“ saß und durchs Fenster schaute, steht ein imposanter gußeiserner Ofen, den er ein wenig „optimiert“ hat: Ein abnehmbares Rohr ermöglicht, dass er mit Scheiten befeuert werden kann, die fast einen Meter lang sind. Peter Kramer war praktisch veranlagt.
Er hatte aber auch eine künstlerische Ader. Im Souterrain des Hauses, das zwischen den 60er und 80er Jahren zeitweise von drei Gastarbeiterfamilien gleichzeitig bewohnt wurde, hat Kramer einen tiefen Schacht gegraben, in dem sich Grundwasser sammelt. Darüber schweißte er einen stabilen Deckel – natürlich aus alten Hufeisen. Wer darauf steht, hat das Gefühl, direkt in einen märchenhaften Brunnen zu schauen.
Als Kramer 2010 überraschend im Alter von 67 Jahren verstarb, hinterließ er ein vollgestopftes Anwesen, aber keine Anweisung, was damit geschehen sollte, erzählt seine Tochter Sabine, die die Herausforderung dennoch gerne annahm. Für die gelernte Erzieherin, Tanz-, Spiel- und Märchenpädagogin, die unter anderem Kurse bei der Lebenshilfe Reutlingen anbietet, war rasch klar: „Ein Peter-Kramer-Museum will ich nicht machen.“ Stattdessen wollte sie mit den Hinterlassenschaften ihres Vaters „schaffen“ und so etwas visionäres Eigenes entstehen lassen. „Erhalten durch Gestalten“, so wie er es einst selbst mit dem Haus getan hat. Und dann zitiert sie leicht abgewandelt Goethes Faust: „Was du ererbt von deinem Vater, erwirb es um es zu besitzen.“
Die Idee entstand, einen „Kulturbetrieb für andere Perspektiven zu entwickeln“. Das „Schaffwerk“ war geboren. Unterstützt wird sie dabei von ihrem Partner Harald Sickinger, der zu diesem Zweck eigens die „Agentur für unschätzbare Werte“ gegründet hat. Sie entwickelten ein Konzept und fingen mit interaktiven Führungen durch das Gebäude an. Seit einem halben Jahr gibt es „sagenhafte Rundführungen“ durch das „Schaffwerk“. Empfohlen für Kinder ab sieben Jahren und Erwachsene. Denn überall lauern Geschichten. Einmal war eine Schreibgruppe der Volkshochschule zu Gast und ließ sich inspirieren.
Auch die Scheuer ist eine wahre Fundgrube. Am Eingang steht ein alter Lanz, Baujahr 1958, an der Decke hängen Transmissionsriemen in verschiedenen Größen. „Vor allem älteren Leuten geht hier das Herz auf“, sagt Kramer und zeigt auf einen Zwischenboden, den ihr Vater aus alten Skiern gebaut hat und auf mehrere betagte Fahrräder. Ihr Vater war ein begeisterter Rennradler und Skifahrer. Und offensichtlich ein Mann mit viel Humor. Unter dem Scheuerdach hat er sich einen Hochsitz, genauer genommen ein „Hochsofa“ mit Aussicht errichtet. Wer dort sitzt, blickt einem ausgestopften Kuhkopf ins Gesicht. Wird der Laden mit dem Rindvieh zur Seite geschwenkt, eröffnet sich dem Betrachter eine Aussicht zur Alb.
Manche Objekte sind mit Schildern versehen. „Ist das Kunst oder kann das weg?“, steht da beispielsweise geschrieben. Daran habe sich manche spannende Auseinandersetzung entzündet, erzählt Sickinger, der auch schon mit der Videokamera losgezogen ist und die Pfullinger zu ihrer Meinung zu dem Haus befragt hat.
Verwunschen sind nicht nur Haus und Scheune, sondern auch der Garten. Hier steht der Aussichtsturm, den Kramer aus großen Holzscheiten aufgeschichtet hat. Was für die Kinder ein Rapunzelturm ist, wird für Erwachsene zum Fernsehturm: Wer hinaufsteigt, kann beim Nachbarn durchs Fenster Fernseh gucken. Zwischen all den kuriosen Objekten, die Kramer selbst oder der mit ihm befreundete Kettensäger Billy Tröge geschaffen hat, findet sich eines seiner letzten Werke. Eine künstlich angelegte Pfütze, die „Drecklach“. Jeder Hof brauche eine „Drecklach“, habe ihr Vater gesagt, erzählt Sabine Kramer. Deshalb ist die Drecklach auch nach seinem Tod immer gut mit Wasser gefüllt.
Testament hat Peter Kramer keines hinterlassen und so weiß niemand, was er selbst mit seinem alten Haus gerne noch alles angefangen hätte. Aber man kann davon ausgehen, dass ihm das „Schaffwerk“ richtig gut gefallen würde.
Sagenhafte Rundführungen durch das Schaffwerk
Das Schaffwerk ist ein altes Haus am Ortsrand von Pfullingen in der Gönninger Straße 112, das der Pfullinger Peter Kramer einst als Werkstatt, Ausstellungs- und Veranstaltungsraum nutzte. Kramer war ein Sammler und Künstler, vor allem aber war er ein Original. Seine Tochter Sabine Kramer möchte aus seinem Erbe einen Kulturbetrieb für andere Perspektiven schaffen. Unterstützt wird sie von Harald Sickinger und seiner Agentur für unschätzbare Werte. Verschiedene Veranstaltungen in den Sommerhalbjahren sind geplant. Zur Zeit gibt es in unregelmäßigen Abständen „Sagenhafte Rundführungen“ für maximal 25 Personen. Die nächsten Führungen sind am 13., 20. und 27. September und dann wieder am 4. und 11. Oktober. Jeweils von 15 bis 17.30 Uhr. Kartenreservierung unter: 01 72/4 75 89 54 oder per Mail. Weitere Informationen gibt es unter: www.das-schaffwerk.de